Das Alltagsleben einer Hebamme im Krankenhaus ist sehr bewegt: Nicht nur Kinder werden geboren, sondern auch schwangere Frauen werden durch Komplikationen begleitet, sowohl ambulant als auch stationär.

Wir wollen es genau wissen! Was sind die häufigsten Schwangerschaftskomplikationen? Wie wird medizinisch damit umgegangen? Wie geht es den Frauen emotional? Wie werden sie zusätzlich unterstützt?

Im Interview mit Michaela Lachmayr, Hebamme vom Landesklinikum Graz, fragen wir nach, wie der Alltag speziell stationär aufgenommener schwangerer Frauen aussieht.

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Stationäre Aufnahme während der Schwangerschaft •

Eine Hebamme erzählt im Interview über ihre Arbeit im Krankenhaus

Frau Lachmayr, Sie arbeiteten seit fünf Jahren als Hebamme im LKH Graz. Wie häufig ist es, dass eine schwangere Frau mit Komplikationen während der Schwangerschaft auf Ihre Station kommt?

Es gehört zu meinem Arbeitsalltag. Wir betreuen Frauen mit allen Arten von Schwangerschaftskomplikationen, sind aber vor allem auch ein Spezialklinikum für Zwillinge, die sich eine Plazenta teilen: sogenannte monochoriale Zwillinge.

Warum brauchen diese werdenden Mütter eine spezielle Betreuung? Und welche genau?

Wie schon gesagt, monochoriale Zwillinge teilen sich eine gemeinsame Plazenta (Mutterkuchen), nur ist die Plazenta oft nicht gerecht aufgeteilt.

Bei diesen Zwillingen kommt es in fast allen Fällen zu Gefäßanastomosen. Das bedeutet, dass die Blutkreisläufe der beiden Kinder über Gefäßverbindungen auf der Plazenta indirekt verbunden sind. Das wiederum kann, je nach Ausprägung, zur Folge haben, dass ein Kind schlechter mit Blut – und damit mit Sauerstoff und Nährstoffen – versorgt wird und deshalb im Wachstum zurückbleibt.

Bei 15% aller monochorialen Zwillingen kommt es zu ausgeprägten Ungleichgewichten der Blutverteilungen, in diesem Fall spricht man von einem Zwillingstransfusionssyndrom, auch als Fetofetales Transfusionssyndrom (FFTS) bekannt. Damit beide Babys ausreichend Nährstoffe erhalten und sich adäquat entwickeln können, kann dieses gemeinsame Gefäß an der Plazenta mittels Laserbehandlung getrennt werden. Nach so einem Eingriff ist es notwendig die Mütter stationär zu überwachen, da durch diese Behandlung Wehen ausgelöst werden können.

Noch seltener gibt es Zwillinge, die sich nicht nur eine gemeinsame Plazenta teilen, sondern auch eine gemeinsame Fruchthöhle, sogenannte monoamniote Zwillinge. Aufgrund der Nähe der Babys zueinander kann es zu Nabelschnurumschlingungen oder Nabelschnurknoten kommen. Diese Frauen werden daher engmaschig, teils ambulant, teil stationär überwacht. Bei solchen Zwillingsschwangerschaften wird immer ein Kaiserschnitt empfohlen.

Wie geht es diesen Frauen nach der Operation, wenn sie zur Überwachung vorerst in den Kreissaal kommen?

Die meisten Frauen sind zuerst sehr verunsichert oder haben Angst. Es ist für viele ein komisches Gefühl, dass am schwangeren Bauch ein Eingriff mit einem kleinen Schnitt an der Bauchdecke gemacht wird. Sie sehen aber die Laserung als einen guten Eingriff für ihren Schwangerschaftsverlauf und eine bessere Überlebenschance für ihre Zwillinge.

Abgesehen von Zwillingsschwangerschaften, gibt es Schwangerschaftskomplikationen, die häufiger auftreten als andere?

Die häufigste Komplikation, die wir im Landesklinikum sehen, ist die Präeklampsie. Wir bekommen in etwa wöchentlich eine stationäre Aufnahme. Die Präeklampsie ist dabei unterschiedlich ausprägt: Bei manchen Schwangeren ist die Gesundheit des Babys und vor allem der Frau sehr gefährdet. In diesen Fällen muss die Schwangerschaft mit einem Kaiserschnitt beendet werden. Andere werden mehr oder weniger engmaschig ambulant oder stationär überwacht. Wir versuchen natürlich immer, eine Entbindung bis zur vollen Reife des Kindes hinauszuzögern und eine Spontangeburt zu ermöglichen.

Frauen mit Gefahr für eine Frühgeburt sind auch häufig stationär bei uns. Diese besteht einerseits bei vorzeitigen Wehen bzw. vorzeitigem Blasensprung oder bei einer Zervixinsuffizienz bzw. Gebärmutterhalsverkürzung, umgangssprachlich auch Muttermundschwäche genannt. In jeden dieser Fälle wird der schwangeren Frau an 2 aufeinander folgenden Tagen eine Kortison-Infusion verabreicht, welche die Lunge des Kindes schneller reifen lässt. Während dieser 2 Tage werden zusätzlich wehenhemmende Medikamente gegeben, um eine Frühgeburt bestmöglich zu verhindern. Beim vorzeitigen Blasensprung hängt das weiter Procedere auch von den Entzündungswerten der Schwangeren ab. Um Infektionen zu vermeiden, wird zusätzlich eine Antibiotika-Therapie verabreicht, denn eine Infektion kann zu gravierenden Problemen beim Fetus führen. Steigen die Entzündungswerte trotzdem weiter an oder es entwickelt sich noch Fieber, werden Wehen – sofern sie nicht von selbst einsetzen – eingeleitet oder es wird ein Kaiserschnitt gemacht.

Manche Frauen mit Gebärmutterhalsverkürzung werden mehrmals während ihrer Schwangerschaft stationär aufgenommen.

Schwangere mit einer Plazenta Praevia, einer Fehposition des Mutterkuchens, sind auch oft zur stationären Überwachung bei uns. Hier verschiebt sich der Mutterkuchen vor dem Muttermund. Bei Frauen mit einer Plazenta Praevia kann es manchmal zu vaginalen Blutungen kommen. Je nach Stärke der Blutung kann es auch vorkommen, dass ein Notkaiserschnitt gemacht werden muss.

Ein weiterer, aber zum Glück seltener Notfall, ist die vorzeitige Plazentaablösung, z.B. nach einem Autounfall oder aufgrund von Bluthochdruck, manchmal auch ohne bekannter Ursache. Das Baby ist dann nicht mehr adäquat mit Sauerstoff versorgt. Zusätzlich kann eine starke Blutung auch das Leben der Mutter bedrohen. Ein Notkaiserschnitt ist dann auch hier nötig.

Welche Aufgaben haben Hebammen in der Betreuung von diesen Schwangerschaften mit Komplikationen, wenn sie stationär aufgenommen worden sind?

Prinzipiell machen wir Hebammen auf der Station die CTGs. Dabei werden die Herztöne des Babys und die Wehentätigkeit der Mutter 30 Minuten lang gemessen. In den 30 min kommen oft tiefe Gespräche auf. Viele Frauen schütten uns da Ihre Seele aus. Außerdem besprechen wir Fragen zur Wehentätigkeit und zur Geburt. Oft ist jedoch viel los und ich schreibe mehrere CTGs gleichzeitig. Dann werden die Krankenschwestern zur emotionalen Anlaufstelle: Sie leiten uns weiter, ob jemand ein Hebammengespräch möchte oder erneut ein CTG wegen vermehrter Wehentätigkeit braucht. Zu manchen Frauen baut man stärkere Beziehungen auf als zu anderen – besonders bei stationären Aufenthalten von mehreren Wochen entstehen tiefere  zwischenmenschliche Beziehungen.

Wie erleben Sie diese Frauen und ihr emotionales Befinden?

Vor allem, wenn die Gefahr einer Frühgeburt groß ist, zeigen Frauen große Angst und tiefe Besorgnis. Sie haben auch sehr vielen Fragen an uns Hebammen, denn uns fragen sie oft lieber als den diensthabenden Arzt. Häufig möchten sie von uns noch einmal hören, was genau der Arzt gesagt hat und was das für sie bedeutet. Oder sie fragen nach Prognosen.

Interessant ist auch, wie unterschiedlich jede Frau und ihr Umfeld reagieren. Wenn die Schwangere schon Kinder hat, macht sie sich oft Vorwürfe und Sorgen um das zu Hause gebliebene Kind. Die Männer spielen hier eine große Rolle: Je nachdem wie der Mann reagiert, kommt die Frau schneller zur Ruhe oder wird noch mehr verunsichert.

Haben Sie Tipps für die Männer? Wie sie zum Beispiel ihren Frauen am besten beistehen können?

Die Rolle der Männer ist sehr wichtig, denn sie sind wirklich eine Stütze für die Frauen: Es ist hilfreich, wenn sie ihre Frauen nicht aufputschen und sie dadurch noch mehr verunsichern, sondern wenn sie einen Ruhepol bilden. Es macht auch einen großen Unterschied, ob Männer ihre Frauen regelmäßig besuchen, wenn sie länger stationär aufgenommen sind. Das gibt den Frauen viel Kraft.

Wenn die Gefahr einer Frühgeburt besteht, und es tatsächlich dazu kommt, wie wird dann vorgegangen? Was kommt auf die werdende Mutter zu?

Wenn es tatsächlich zu einer Frühgeburt kommt, klärt davor der Kinderarzt, der Neonatologe, folgende Fragen: Was bedeutet eine Frühgeburt für das Baby? Was wird an medizinischer Versorgung benötigt? Wichtig ist immer, dass die werdende Mutter gut informiert ist und emotional betreut wird.

Eine klinische Psychologin steht den Müttern auch zur Verfügung, denn oft ist diese Situation für Frauen sehr belastend. Wenn es Zeit und Situation erlauben, können die werdenden Eltern auch die Frühchen-Station besichtigen. Sie lernen einen Inkubator, umgangssprachlich Brutkasten, und etwaige Schläuche zum Beatmen, Ernähren oder Vitalparameter messen und ihre Funktionen kennen. So sind die Eltern besser vorbereitet und der erste Schreck oder die Angst nach der Geburt fallen weg.

Welche Rolle kommt auf eine Hebamme zu, wenn eine werdende Mutter im Krankenhaus das Baby während der Schwangerschaft oder nach der Geburt verliert?

Emotional sind solche Momente sehr herausfordernd für alle Beteiligten.  Wir tun alles um eine würdige Verabschiedung zu ermöglichen. Für die Eltern ist es ganz wichtig, dass sie ihr Kind in den Arm nehmen dürfen. Wir versuchen eine respektvolle Atmosphäre zu schaffen – wir zünden eine Kerze an und wir haben spezielle Sternenkinder-Tücher. Das sind bunte Stoffe, in die wir das Kind einwickeln. Die Eltern haben auch die Möglichkeit zu einem späteren Zeitpunkt ihr Kind noch einmal zu sehen und es in den Arm zu nehmen. Die Verabschiedung ist ein ganz wichtiger Teil für die Trauerverarbeitung.

Jede Frau reagiert allerdings in so einer Situation anders: Manche Frauen brauchen ganz viele Gespräche und Begleitung, andere sind ganz in sich gekehrt, abweisend gegen uns Hebammen oder Ärzte. Manche wiederum weinen nur. Für die Betreuung nach einer Totgeburt ist die klinische Psychologin sehr wichtig, um den Trauerprozess zu begleiten und weitere Themen wie zum Beispiel Beerdigung, Mutterschutz usw. zu besprechen.

Gibt es noch andere Angebote im Krankenhaus für Frauen mit Schwangerschaftskomplikationen?

Die klinische Psychologin ist eine wichtige Anlaufstelle, sie ist für alle schwangeren Frauen da. Vor allem bei Frühchen-Müttern oder traumatischen Erlebnissen ist eine professionelle Hilfe oft notwendig. Denn jede Frau reagiert anders in solchen herausfordernden Situationen.

Wir Hebammen dürfen außerdem Aromatherapie, Homöopathie oder Akupunktur zur Geburtsvorbereitung, während und nach der Geburt anwenden.

Vielen Dank Frau Lachmayr für das informative Gespräch und den detailreichen Einblick in ihren Hebammen-Alltag von stationär aufgenommenen Frauen mit Schwangerschaftskomplikationen.

Hebamme • Michaela Lachmayr
Interview • Mariella Gebhardt